Die Geschichte der staatlichen russischen Landesaufnahme beginnt mit Peter dem Großen (1672-1725), der verschiedene Schritte veranlasste, um die Vermessung seines Landes zu ermöglichen. Die Ergebnisse dieser Bemühungen für die Vermessung, die durch die Armee durchgeführt wurde, konnten jedoch erst rund 20 Jahre nach seinem Tod in Form eines Atlas im Maßstab 1:1,5 Millionen (europäisches Russland), bzw. 1:3,7 Millionen (asiatisches Russland) veröffentlicht werden. Dieser Atlas stellte über Jahrzehnte die beste und genaueste kartographische Darstellung des Russischen Reiches dar. Im darauf folgenden 19. Jahrhundert entwickelte sich die Kartographie in Russland ähnlich wie im restlichen Europa. Sie war geprägt von der Einführung neuer mathematischer Techniken und Instrumente und der darauf aufbauenden Möglichkeit von immer genaueren Messungen.
Ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts nahm auch der internationale Austausch unter den Vermessungsingenieuren zu, wobei vor allem das Wissen über Techniken und Verfahren zirkulierte. Zwischen 1832 und 1835 wurde eine Verbindungsmessung zwischen den Karten des Russischen Reichs und denen von Preußen durchgeführt. Diese Messung ermöglichte es, die Karten gemeinsam zu nutzen. Auf preußischer Seite war die kartographische Grundlage dafür eine gleichzeitig stattfindende Vermessung der ostpreußischen Gebiete. Ein Ergebnis dieser Vermessung ist die sogenannte Müfflingkarte (1834), welche auch auf diesen Internetseiten dargestellt wird.
Die russische Landesaufnahme im 19. Jahrhundert war darüber hinaus von vielen Problemen geprägt. Die wichtigsten davon betrafen Blattschnitt, Projektion und Abdeckung. Es gelang nicht, einen landesweit einheitlichen Blattschnitt oder eine einheitliche Projektion einzuführen. Dies führte dazu, dass viele Karten nicht kompatibel miteinander waren bzw. aufwendig aneinander angepasst werden mussten. Hinzu kam, dass viele Karten ungenau waren. Gleichzeitig war die kartographische Abdeckung der Staatsfläche gering: bis 1917 wurden nur etwa 10 Prozent der Fläche Russlands mit einem Maßstab von 1:420.000 oder kleiner erfasst.
Nach der Russischen Revolution ließ Lenin 1919 per Dekret die Oberste Verwaltung für Geodäsie und Kartographie als zivile Behörde einrichten. Diese wurde zur zentralen Koordinations-, Verwaltungs- und Organisationsstelle für alle vermesserischen und kartographischen Aktivitäten in der Sowjetunion. Sie löste dabei die militärischen Behörden ab, die im Zarenreich für die Erstellung von Karten und die Landesvermessung zuständig waren. 1938 wurde dann die Hauptverwaltung für Geodäsie und Kartographie (russ. Главное управление по геодезии и картографии, translit.: Glavnoe upravlenie po geodesisi i kartografii) gegründet, welche bis zum Ende der UdSSR für alle Tätigkeiten im Bereich der Kartenerstellung zuständig war. Sie war sowohl für die frei verkäuflichen Karten, als auch die geheimen Karten zuständig. Davon ausgenommen waren nur die Gebiete im Umkreis von besonders geschützten Objekten, wie zum Beispiel Militärstützpunkten, Grenzen oder Sondergebieten. Diese wurden von der Verwaltung Militärtopographie (russ. Военно-топографическое управление, translit.: Voenno-topografičeskoe upravlenie) betreut, die wiederum dem Generalstab der Streitkräfte der UdSSR zugeordnet war. Bei der Verwaltung Militärgeographie lag auch die Zuständigkeit für die Erstellung und Bereitstellung von Karten für die Streitkräfte der Sowjetunion.
Die Karten, die auf dieser Seite präsentiert werden, stammen ebenfalls von der Verwaltung Militärgeographie. Die vorliegenden Karten gehören zur Serie der Topographische Karten des Generalstabes der Streitkräfte der UdSSR (Топографические карты Генерального штаба Вооружённых сил СССР, translit.: Topografičeskie karty generel’nogo štaba vooružennykh sil SSSR). Diese decken das gesamte Staatsgebiet der ehemaligen UdSSR in den Maßstäben 1:1 000 000 bis 1:25 000 ab. Ausgewählte Gebiete wurden zudem im Maßstab 1:10 000 erfasst. Frei erworben werden konnten in der UdSSR hingegen oft nur Karten, die aufwendig verzerrt wurden, so dass sie nicht für eine Darstellung der Kurischen Nehrung in Frage kommen. Die Generalstabskarten sind als Grundlage für die Darstellung der Situation in der Zeit zwischen 1945 und 1991 somit die Quelle der Wahl, da sie nicht verzerrt sind und zu den besten Ergebnissen der sowjetischen Kartographie gehören.
Bis heute ist es jedoch schwierig diese Generalstabskarten zu erhalten, da die unverzerrten und kleinmaßstäbigen Karten in der Sowjetunion einem hohen Grad der Geheimhaltung unterlagen. Dennoch gibt es heute viele Kartensammlungen, die Kartenwerke, Atlanten und Einzelkarten aus der ehemaligen UdSSR besitzen. Jedoch sind diese Bestände vielfach nicht archivalisch aufbereitet oder digitalisiert. Somit ist es schwierig gezielt Karten zu bestimmten Regionen oder Zeiten zu finden. Diese Feststellung gilt auch für die hier verwendeten Kartenblätter.
Die Karte, die aus der Serie der Generalstabskarte der 1960er Jahre entnommen wurde, konnte nur für den nördlichen (litauischen) Teil der Kurischen Nehrung zugänglich gemacht werden. Aber auch dieser Teil wird hier nicht komplett abgedeckt. So fehlt ein Kartenblatt, welches das östliche Ufer der Kurischen Nehrung gegenüber von Klaipėda abdeckt. Dieses wurde durch eine Karte aus der 1980er-Serie der Generalstabskarte ergänzt, um ein gesamtheitliches Bild zu erhalten. Der südliche Teil wurde in Ermangelung der Karten mit einer wissenschaftlichen, aber ungenauen naturräumlichen Landesaufnahme der Universität Kaliningrad ergänzt. Diese zeigt einen deutlich vereinfachte Küstenlinie und fokussiert sich auf ausgewählte landschaftlichen Merkmale der Kurischen Nehrung, insbesondere die Landschaftsform. Dabei werden viele andere Informationen, wie die Geländehöhe oder andere landschaftliche Merkmale ausgeblendet, welche in der Generalstabskarte enthalten sind.
Die Auswertung der Karte zum vorherigen Zustand der Kurischen Nehrung ist durch die unterschiedliche Art der kartographischen Aufnahme nur eingeschränkt möglich. Es ist nur möglich die grobe Verteilung der einzelnen Landschaftsbestandteile – und auch dies nur mit großer Vorsicht – zu vergleichen. Bei der Küstenlinie der Kurischen Nehrung zeigen sich keine großen Abweichungen und auch die Lage und die Grundstruktur der Ortschaften haben sich im Vergleich zur Vorkriegszeit nicht signifikant verändert.
Verwendete Literatur
Davies, John; Kent, Alexander James; Risen, James (2017): The red atlas. How the Soviet Union secretly mapped the world. Chicago, London: University of Chicago Press. 234 Seiten.
Schittenhelm, Roland (2011): Die topographische Kartographie in der Sowjetunion und in Russland. In: j. Cartogr. Geogr. inf. 61 (6), S. 313–320.
Torge, Wolfgang (2009): Geschichte der Geodäsie in Deutschland. 2., durchges. und korrigierte Aufl. Berlin: de Gruyter.